Unsere Firma – Gottes Geschenk an die Menschheit. Von beleidigten Leberwürsten und verschmähten Liebhabern

Manchmal wundert sich die Headhunterin. Nämlich darüber, wie manche GeschäftsführerInnen reagieren, wenn Mitarbeiter kündigen oder wenn Kandidatinnen absagen.
Da fallen dann Sätze wie:
Die wird schon noch draufkommen, dass es ihr anderswo bei weitem nicht so gut gehen wird wie bei uns.
oder
Ach, der kommt schon wieder zurück.
oder
Die hätte bei uns alles werden können, aber manche checken das halt nicht.
oder
Der wollt halt nix hackeln

Zusammengefasst: Mitarbeiter, die kündigen sind faul. Undankbar. KandidatInnen, die absagen, sind zu blöd um zu erkennen wie toll die Firma ist.

Man findet diese Reaktionen, die ein bisserl nach verschmähtem Liebhaber klingen, übrigens nicht nur bei EigentümerInnen, sondern oft auch bei angestellten ManagerInnen, die schon lange im Unternehmen sind, wenig oder keine Vergleichsmöglichkeiten haben und sich sehr mit ihrem Arbeitgeber identifizieren.

Beleidigte Leberwurst

Kürzlich erklärt mir ein Unternehmer, bei dem sich ein ganzes Team zum Mitbewerb vertschüsst hatte, das läge daran, dass die Leute halt alle nicht mehr hackeln wollen und lieber Arbeitslose kassieren. Ich: Hä? Die wollen ja eh hackeln. Nur halt lieber woanders und net bei dir.

Interessant: An sich intelligente, reflektierte Menschen haben, wenn es um ihre eigene Firma geht, blinde Flecken. Vor allem neigen sie dazu, ihre Arbeitgeber-Attraktivität zu überschätzen.

Das geht soweit, dass sie KandidatInnen, die sich aus aufrechten Dienstverhältnissen bei ihnen bewerben, Angebote machen, die finanziell deutlich unter dem liegen, was der- bzw. diejenige aktuell verdient. Wenn die Person dann logischerweise absagt, verstehen sie das nicht. Weil ihre Firma ist doch so toll und Geld ist ja wirklich nicht alles.

Mich erinnert das oft an die Art Eltern, die ihren eigenen Fortpflanz für Gottes Geschenk an die Menschheit halten, während andere sie eher als verhaute Fratzen bezeichnen würden. Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen meilenweit auseinander.

Die Psychologie ist eine Sau

In der Psychologie spricht man von Attribution. Dabei geht es darum, welche Begründungen Menschen (er)finden um z.B. Misserfolge bzw. Erfolge zu erklären. Eine beliebte Variante ist: Erfolge auf eigenes Wirken zurückführen, Misserfolge hingegen auf externe Gründe. Also solche, die man nicht beeinflussen kann. Schuld ist dann z.B. „die Gesellschaft“, „die Jugend heutzutage“, „die Politik“, Pech, die angebliche Faulheit der MitarbeiterInnen, der Mitbewerb, die Politik, der Markt … .

Dieses Denkmuster schont den Selbstwert, ist aber gefährlich, weil hausgemachte Probleme und Verbesserungs­notwendigkeiten übersehen werden.

Schuld? Ich doch nicht!

„DEIN Bewerber ist nicht zum zweiten Gespräch gekommen“ sagt mir der Kunde mit dezent beleidigtem Unterton, „Scheinbar hat er schon was anderes.“ Auch das ein Vorwurf. Der Kandidat hat sich TATSÄCHLICH für eine ANDERE Firma entschieden. Sapperlott! Daran kann ja nur jemand anderer schuld sein. Also z.B. ich. Schleppt die falschen Leute an, die Schöffmann.

Es geht aber auch anders. Ich habe Kunden, die fragen mich in solchen Situationen, was sie hätten besser machen können. Und dann lernen sie daraus. Und werden immer besser.

Und genau das wird in Zukunft über Erfolg und Misserfolg von Unternehmen entscheiden.

Vom Nachfragemarkt zum Anbietermarkt

Über viele, viele Jahre war der Arbeitsmarkt ein Nachfragemarkt. Jede noch so grindige Firma konnte sich die MitarbeiterInnen aussuchen. BewerberInnen waren grundsätzlich Bittsteller, die man gegeneinander in einer Art Castingshow antreten ließ („Assessment Center“) oder die man in die Zange nahm und zerlegte („Stressinterview). Ich kann mich an einen Personalleiter erinnern, der Mitte der 90er Jahre stolz darauf war, dass er jede Bewerberin im Interview zum Heulen brachte.

"Employer Branding" gab es nicht in der guten alten Zeit. Hätte auch keine Sau interessiert. Es gab ein Überangebot an Arbeitskräften. Jeder Gartenzwerg von Recruiter konnte Bewerbern gegenüber seine Macht ausspielen.

Blöd ist nur: Jetzt haben wir einen ANBIETERMARKT. Alle suchen händeringend Leute und jammern, weil es kaum Bewerbungen gibt. Das Kräfteverhältnis zwischen den Akteuren hat sich komplett verändert.

Adapt or die!

Viele Firmen negieren diesen Umbruch und betreiben weiterhin Recruiting wie in den 90ern. Nerven Bewerber mit elendslangen Psychotests. Versuchen sich in Stressinterviews und wundern sich, wenn KandidatInnen diese Gespräche abbrechen, absagen oder Ghosting betreiben.

Und dann gibt es die Smarten. Die unterscheiden sich von den Fossilien durch die HALTUNG. Die Smarten denken so:

  • Der Bewerber ist KEIN Bittsteller
  • Um potentielle Mitarbeiterinnen muss man sich genauso bemühen wie um potentielle Kundinnen. (Schlagen Sie doch mal Ihrem Vertrieb vor, von Kunden einen Psychotest zu verlangen! 😉 )
  • Im Interview geht es IMMER auch darum, die Firma zu BEWERBEN. Denn auch abgelehnte KandidatInnen sind Multiplikatoren.

Und wenn Mitarbeiter kündigen?

Bei Kündigungen –aber auch dann wenn BewerberInnen absagen- verzichten Sie auf selbstgebastelte Erklärungen! Fragen Sie lieber nach! Jaja, ich weiß. Man bekommt selten eine ehrliche Antwort, weil die meisten sind zu nett, um einem knallhart die Wahrheit zu sagen.

Deshalb: Wenn Sie eine gute Personalberaterin haben (mich z.B.!!!), lassen Sie sie herausfinden, woran es gescheitert ist. Daraus kann man nämlich wirklich urviel lernen.

Ines Schöffmann

Headhunterin, Personalberaterin, Bewerbungscoach, Texterin

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